Geschichtliche Hintergründe des Landes

Die Annäherung an die Geschichte Polens erfolgt hier durch das heutige Karpatenvorland, wo Schloss Baranòw Sandomierski steht. Diese Gegend war früher ein Teil Galiziens, das eine multikulturelle und multikonfessionelle Seltenheit seit dem Mittelalter war.

Wie üblich muss bei den Römern angefangen werden, um die heutige Situation in Europa zu verstehen: Um das Jahr 300 wurde das Christentum zur römischen Staatsreligion. Die Christianisierung, welche den Glauben an viele Götter ablöste, erfolgte den römischen Handelswegen entlang. Im Römischen Reich jedoch hatte die Christliche Kirche noch keine Verwaltungsstrukturen. Verwaltung und Richtbarkeit erfolgten durch das Politische Römische Reich. 395 nach Christus wurde das römische Reich zweigeteilt. In das Weströmische Reich mit der Hauptstadt Rom und das Oströmische Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel (Byzanz, heute Istanbul).

Das Weströmische Reich ging im Jahre 480 unter. Danach trat die Römische Kirche in dieses politische Machtvakuum und übernahm die spätrömischen Verwaltungsstrukturen. In den Schweizer Römer-Hauptorten Avenches, Martigny und in anderen entstandenen Städten wie Sitten, Genf, Augusta Raurica, Chur, wurden Bischofssitze errichtet, um das Volk auch politisch zu regieren. Die Grenzen dieser Bistümer deckten sich oft mit jenen, in welche die Provinzen seit Kaiser Diokletian zusammengefasst waren.

Die Einteilung des spätrömischen Reiches bildete die Grundlage für die kirchliche Diözesangliederung. Die römischen Handelswege dienten weiterhin dazu, dem einfachen Volk die Gesetze Roms näher zu bringen. Das Volk wurde durch Bischöfe und Priester, welche immer noch die Sprache der Römer sprachen, verwaltet, betreut. Ebenfalls gab es noch lange das Silbergeld der Römer.

Im Oströmischen Reich, welches bis zur Einnahme Konstantinopels durch die Türken (im Jahre 1453) bestehen blieb, konnte sich das römische Kaisertum halten. Obwohl dort die Christianisierung ebenfalls den Römischen Handelswegen entlang stattgefunden hatte (deshalb wurden auch die Ukraine und Weissrussland christianisiert), das Christentum römische Staatsreligion war, behielt das Oströmische Kaisertum die Richtbarkeit und politische Macht über das Volk.

Der Unterschied zwischen dem ehemaligen Weströmischen Reich und dem Oströmischen Reich bestand vor allem darin, dass die Römische Kirche im Westreich die politische Macht war, im Oströmischen Reich jedoch der Kaiser regierte.

Während sich die Armenische Kirche bereits im 6. Jahrhundert vom Christentum abspaltete, entfremdete sich die Christliche Kirche im Oströmischen Reich erst im 9. Jahrhundert von den Römischen Christen. Dabei ging es grundsätzlich um die Ikonen. Im Oströmischen Reich beharrte der Patriarch von Konstantinopel auf die Verehrung und Anbetung von Bildern mit religiösem Inhalt, während der römische päpstliche Gesandte das Entfernen aller Ikonen befahl, weil diese Verehrung und Anbetung nicht dem Gesetz der Römischen Kirche entsprach.

So entstand dort, wo im Jahre 395 eine Teilung durch das Römische Reich gezogen wurde, im Jahre 1054 nochmals eine Teilung. Fortan galt die Region des ehemaligen Weströmischen Reiches als Römisch Katholisch (von Rom aus). Das Oströmische Reich galt als Griechisch Orthodox (von Konstantinopel aus). Auf der folgenden Karte sind die Römisch Katholischen Gegenden blau, die Römisch Katholisch-Reformierten Gegenden (nach Luther) violett und die Orthodoxen Gegenden rot. Die Islamischen Gegenden grün.

Diese Landkarte fasziniert mich, weil sie aufzeigt, dass wir die Trennung des Römischen Reiches im Jahre 395 nach Christus in ein Weströmisches und ein Oströmisches Rom noch nicht überwunden haben. Mit Argwohn beobachten wir, was hinter der Glaubensgrenze vor sich geht.

Polen bildete dabei eine Pufferzone. In der heutigen Ukraine sehen wir zudem einen blauen, Römisch Katholischen Zipfel. Dies ist, weil ein Teil der heutigen Ukraine einst zum Königreich Polen gehörte und sich die Römisch Katholische Kirche dort ausdehnen konnte.

machtIm Mittelalter war die Organisation der Menschen einfach. Der Herrscher war der König und wurde von seinen Fürsten beraten. Fürsten konnten die Herzöge, die Pfalzgrafen, die Landgrafen, die Grafen, die Erzbischöfe, die Bischöfe und die Äbte der Reichsklöster sein. Sie alle verfügten über die hohe Gerichtsbarkeit, waren Grossgrundbesitzer, besassen wie ihr königlicher Lehensherr viele Bedienstete sowie ein Heer von Unfreien, Leibeigenen und behausten Unfreien. Der Fürst, ob Graf oder Bischof, konnte über seine Unfreien verfügen. Die Verwaltung wurde jedoch meist über die Kirche organisiert. Dies vor allem, weil die Kirche hauptsächlich über gebildete Menschen verfügte, während man ausserhalb der Kirche nicht viel Notwendigkeit für Bildung sah. Die weltlichen Führer wiederum boten den kirchlichen Führern leiblichen Schutz. Das Weltliche und Christliche ging Hand in Hand, die Organisation des Volkes erfolgte jedoch meist durch den Klerus, der dem Herrscher diente. Dadurch hatte die Kirche auch viel politische Macht.

Als Karl der Grosse (im Jahre 800 vom Papst in Rom gekrönt) sein Heiliges Römisches Reich ausdehnte und in Sachsen eindrang, zerstörte er als erstes deren Heiligtümer und religiöse Führungsstrukturen. Die Unterwerfung der Sachsen wurde damit zelebriert, dass sich der dortige Herrscher römisch katholisch taufen liess, das Volk christianisiert wurde und die Römische Kirche ihre Machtstruktur zu Diensten Karl des Grossen aufbaute.

Nicht immer war es jedoch möglich, dem Volk einen neuen Glauben aufzuzwingen. Oft wanderten Menschen aus, um ihren gewohnten Glauben weiterleben zu können. Auswandern verbinden wir heute nicht zwingend mit einer West-Ost-Richtung, doch ist es so, dass ein Gebiet im Süden von Polen viele Menschen anzog, die ihren Glauben weiterleben wollten.

Zwischen Krakau und Kiew, an der Handelsroute des Oströmischen Reiches (Griechenland-Skandinavien) lag damals Galizien. Von 1200 bis 1340 wie mancherorts in unseren Breitengraden ein Fürstentum, aber an der Glaubensgrenze. In Galizien lebten damals schon Griechisch Orthodoxe als auch Römisch Katholische eng zusammen. Dadurch waren die Fürsten Galiziens mehr oder weniger offen für verschiedene Religionen.

Die Hauptstadt von Galizien – Lemberg- Lwòw – war zu dieser Zeit eine prosperierende Stadt an den Handelswegen und zog sowohl Kaufleute als auch Handwerker aus Westeuropa an. Dadurch vermischten sich die beiden Glaubensrichtungen. Deshalb findet sich noch heute romanische Kirchenarchitektur im eigentlich orthodoxen Gebiet. Es gab auch katholische Geistliche, welche eine orthodoxe Gemeinde versorgten. Es gab gar einen polnischen katholischen Fürsten, der das orthodoxe Gebiet regierte. Als dieser ermordet wurde, fiel Galizien zum Römisch Katholischen Polen, zu dem damals auch das Gebiet von Litauen gehörte.

Polen war 1569 zur politischen und militärischen Führungsmacht in Osteuropa aufgestiegen. Grosspolen umfasste grosse Teile der heutigen Ukraine, ganz Litauen, auch grosse Teile von Weissrussland und kontrollierte gar den böhmischen sowie ungarischen Thron. Die Karte zeigt, wie riesig dieses Reich um 1569 war.

Bis 1795 galt Polen als Adelsrepublik, weil der Adel regierte und die Bevölkerung mehr oder weniger dem Adel gehörte. Polen konnte dieses Dreischichtensystem, welches in unseren Breitengraden üblich war, extrem lange aufrechterhalten. Der Adel war als Landbesitzer fest mit der Katholischen Kirche aus Rom verbunden. Sowohl Adel als auch Kirche waren befreit von Steuern, besassen Leibeigene, welche die Gutshöfe bewirtschafteten. Die Bauern und Bürger (

Handwerker/ Händler) bezahlten sowohl dem Adel als auch der Kirche Steuern und leisteten Frondienste. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, dass zu dieser Zeit noch kein Nationales Bewusstsein entstanden war. Das „WirGefühl“ ergab sich viel mehr aus der Zugehörigkeit der Menschen zum jeweiligen Stand: Der Adel, der Bauer, der Handwerker, der Händler, sowie durch die Zugehörigkeit zur Religion.

Ich weiss nicht, wie es in Polen war. Bei uns in der Schweiz war es früher so, dass man auf der Strasse sofort erkennen sollte, zu welchem Stand man gehörte. Deshalb gab es genaue Kleidervorschriften. Ein Bauer mit viel Geld z.B. durfte sich nicht mit Kleidern schmücken, welche nur dem Adel zustanden. Dies galt als Betrug. Aus dieser Zeit stammt auch der Ausdruck: „Kleider machen Leute“. Es galt sogar das Gesetz, dass gewisse Speisen nur dem Adel sowie dem oberen Klerus zustanden (abgesehen davon, dass sich das einfache Volk wohl kaum schwer Erhältliches leisten konnte). Der Apfel z.B. war für den Adel und für den oberen Klerus bestimmt. Es war verboten, einen Apfelbaum zu pflanzen, wenn man nicht dem passenden Stand angehörte. Ketzerei war es gar, einen Apfel zu begehren, weil man damit ausdrückte, die gleichen Rechte wie der Adel und der obere Klerus haben zu wollen.

Die Unterdrückung des einfachen Volkes sowie deren Ausbeutung fanden überall auf der Welt statt. Ob in China, Frankreich oder in Polen. Das System war mit einigen Abänderungen immer gleich. Für „europäische Verhältnisse“ konnte es sich jedoch in Polen sehr lange halten. Zudem war es in Polen so, dass der Adel Römisch Katholisch war, das Katholische als edel galt und fortschrittlich. Hier an der Glaubensgrenze, im Vielvölkerstaat wurde jedoch nie versucht, einen einzigen Glauben zu erzwingen, damit das Volk besser regierbar wurde. Im Gegenteil: Lange vor anderen Ländern im Westen entstand im Jahre 1573 die Glaubenstoleranzakte für PolenLitauen, der dem Adel und den Freien die Glaubensfreiheit ermöglichte. (Die Leibeigenen und Unfreien trugen selbstverständlich wie überall auf der Welt den Glauben ihres Herrn und Meisters). Der damalige König soll gesagt haben: „Ich bin nicht der Herr über das Gewissen des Volkes“.

Im Gegensatz zu Westeuropa gab es zu dieser Zeit in Polen keinen Glaubenszwang. Keine Verfolgungen des Glaubens wegen. Keinen Scheiterhaufen, keine Bartholomäus Nacht. Jeder Glaube wurde toleriert.

Durch diese Glaubenstoleranzakte im Jahre 1573 erfolgte eine grosse Zuwanderung verschiedenster Gläubigen, welche entweder eine neue Existenz suchten oder im eigenen Land wegen des Glaubens verfolgt, vertrieben wurden. Besonders in Galizien entstand ein regelrechtes multikonfessionelles Gebiet. Dies bedeutete auch verschiedene Rechtsformen, denn immer noch wurden die Menschen ihrem Glauben gemäss gerichtet. Das Magdeburger Recht galt für die Römisch Katholischen, welche meist der Oberschicht angehörten.

Sehr viele Juden siedelten sich in Galizien an, weil sie aus Westeuropa vertrieben wurden. Man lastete ihnen die Pest an, welche im 14. Jahrhundert wütete. In Galizien wurden sie positiv empfangen, hatten innerhalb Galiziens eine eigene nationale parlamentarische Organisation, sogar einen jüdischen Reichstag. Eigene Gerichte, eigene Verwaltungen. Die Juden waren in Galizien mehrheitlich Besitzer oder Pächter von Dorfschenken und galten oft als Vermittler zwischen Katholiken und Orthodoxen, weil in der Schenke auch gehandelt wurde. Viele Adelige hatten auch Juden als Verwalter eingesetzt. Als Vermittler wurde der Jude auch zum Händler.

Vor allem in den Städten siedelten sich auch Armenier an. Die armenische Gemeinde bestand mehrheitlich aus Flüchtlingen, aber die Armenier waren seit jeher reich. Sie handelten mit Gold und Teppichen, waren auch im Bankenwesen tätig. Sie waren Diplomaten und dienten als Verbindungsglied zwischen Ost und West. Bis sie mit der päpstlichen Kirche in Rom eine Union schlossen, hatten auch sie eigene Gesetze in Galizien.

Ein weiteres Volk, das nach Galizien flüchtete, waren die Karäer, welche von der Krim vertrieben wurden. Die Karäer handeln nur nach dem Alten Testament und hatten sich von den Juden abgespalten. Tataren aus dem Steppengebiet flohen zu dieser Zeit ebenfalls nach Galizien. Aus dem Süden kamen die Walachen. Sie waren Hirten, brachten jedoch ebenfalls ihr eigenes walachisches Recht mit. Es gab auch eine muslimische Gemeinde in Galizien, welche wiederum ihre eigenen Rechte hatte (das Osmanische Reich eroberte 1453 Konstantinopel, der Islam lag nun an der Handelsroute). Auf dem Land war der grösste Teil der Bevölkerung die Ruthenen, die heutigen Ukrainer. Sie waren das angestammte Volk dieser Region und gehörten der Orthodoxen Kirche an. Selbstverständlich hatten auch sie ihre eigenen Gesetze. Allerdings waren die Geistlichen der Orthodoxen Kirche nicht gebildet, hatten auch keine politische Macht wie in der Römischen Kirche. Vielmehr waren sie selbst Bauern.

Galizien wurde multikulturell sowie multikonfessionell. Weil es jedoch noch kein nationales Recht, auch kein nationales Denken gab, entstand in Galizien ein Ort, wo viele verschiedene Rechtsformen im Land regierten. Die verschiedensten Gemeindeverwaltungen lebten nebeneinander her. Nur durch die überregionalen Organisationen wurden die einzelnen Glaubensvölker zusammengehalten.

Das Römisch Katholische galt jedoch als fortschrittlich und elitär. Dies weil es viele Römisch Katholische Adelige in Galizien gab. Um möglichst viele Polen in Galizien zu haben, erhielt der polnische Adel viel Land in Galizien, das er samt Bevölkerung verwalten konnte. Dadurch wurde der Orthodoxe Adel mehr und mehr verdrängt. Um dazu zu gehören, liessen sich auch einige aufgestiegene Orthodoxe Adelige Römisch Katholisch taufen. Obwohl alle christlichen Religionen Aufstiegschancen hatten und sich die Völker durch die Glaubensfreiheit vermischten, gab es in Galizien innerhalb der drei Volksschichten klare Abgrenzungen: Der Adel war Polnisch und Katholisch. Der Adel richtete sich nach Westen zur westlichen Zivilisation. Der Adel schaute nach Rom, lebte vorwiegend in Krakau oder in Warschau und setzte Verwalter für ihre Gutshöfe ein. Der grösste Bevölkerungsanteil waren die Bauern, welche für den Adel arbeiteten. Sie waren Griechisch Orthodox, wurden vom Adel unterdrückt. Die Unterdrückung fand jedoch nicht direkt durch den Adel statt, sondern durch die Juden, welche meist als Gutsverwalter fungierten. Die Juden wurden dadurch zum Sinnbild für Ungerechtigkeit, ein Judenhass entstand deshalb später auch in Galizien.

Ein weiterer Umstand stärkte das Römisch Katholische: Obwohl in Lemberg, der Hauptstadt von Galizien 4 HauptRechtsgemeinschaften zusammen lebten, die Stadt 4 Bezirke mit je eigenen Verwaltungen und Gerichten hatte, gab es ein einheitliches Wirtschaftsrecht. Denn Lemberg lag an der Handelsroute vom Schwarzen Meer zu Westeuropa, jeglicher Handel führte über Lemberg. Die durchreisenden Händler wurden gezwungen, ihre Ware auch in Lemberg anzubieten, die Lemberger hatten immer ein Vorkaufsrecht. Die Stadt prosperierte dadurch. Dieser Umstand verlangte jedoch einen einheitlichen wirtschaftlichen Rechtsstand, der Deutsch-Katholisch war. Polen selbst jedoch war seit 1572 eine Wahlmonarchie geworden, im Innern durch verschiedene Adelsstreitigkeiten stark geschwächt. Ausländische Nachbarn gierten nach dem geschwächten Land. Allem vorab versuchte Russland durch die Orthodoxe Kirchenorganisation Macht über die Polnischen Orthodoxen aufzubauen.

Die Nähe zu Russland, die beim einfachen Volk durch den Orthodoxen Glauben entstand, sollte nun dadurch überwunden werden, dass diese Orthodoxen als Römisch Katholische in Polen besser integriert werden sollten.

Deshalb wurde im Jahre 1630 und nochmals im Jahre 1700 mit dem Papst je ein Unionsvertrag geschlossen, der festhielt, dass nun auch die Polnischen Orthodoxen Römisch Katholisch waren sowie dem Römisch Katholischen Recht unterstanden. Dadurch entstand ein furchtbares Durcheinander. Römisch Katholische Priester lebten nach dem Zölibat, waren von der Römischen Kirche gut ausgebildet, sprachen unter sich Latein. Sie gehörten der Elite an und konnten als Bischof auch im Senat Einsitz nehmen. Sie waren wie überall dem Adel gleichgestellt. Die Orthodoxen jedoch konnten heiraten, hatten Familie, die sie mangels besserer Bildung und sozialer Stellung mit einem Bauernhof ernährten. Weder sprachen sie Latein, noch hatten sie politische Macht. Der Unionsvertrag mit der Römischen Kirche versprach den Orthodoxen Bischöfen Gleichstellung, deshalb waren vor allem sie Feuer und Flamme für diesen Vertrag. Die Praxis sah dann aber folgendermassen aus:

Römisch Katholische Priester lebten weiterhin im Zölibat, aber Unierte Römisch Katholische Priester (durch den Unionsvertrag Römisch Katholisch gewordene Priester) durften weiterhin heiraten. Römisch Katholische lebten nach dem Gregorianischen Kalender, feierten die Kirchenfeste wie Karwoche und Ostern z.B. zu anderen Zeiten als die Unierten. Die Traditionen und Rituale blieben ebenfalls verschieden. Zudem gab es verschiedene festliche Höhepunkte im Kirchenjahr. Ganz strikt geregelt wurde die Taufe der Nachkommenschaft von gewünschten Mischehen. Mädchen wurden nach dem Glauben der Mutter getauft, Knaben wurden nach dem Glauben des Vaters getauft. Eine der grössten Streitigkeiten war der so genannte Seelendiebstahl, wenn Kinder nicht den Regeln entsprechend getauft wurden.

Es lag an den Bischöfen und Priestern, den Orthodoxen das Seelenheil auf Römisch Katholische Weise schmackhaft zu machen. Dies taten sie im Glauben, als Unierte sozial aufsteigen zu können. Das Volk jedoch war nie wirklich erpicht, einen neuen Glauben anzunehmen. Man darf nicht vergessen, dass Russland grosses Interesse daran hatte, das Orthodoxe Volk hinter zu wissen. Die Orthodoxen Bischöfe wurden deshalb auch von Russland her manipuliert. Zudem hatte das elitäre Denken des Römisch Katholischen Klerus keinen wirklichen Kontakt zum einfachen Bauern-Priester aufbauen können.

Einmal mehr geschah deshalb an der Grenze vom Weströmischen zum Oströmischen Reich eine Trennung. Die Unierten Bischöfe mussten erkennen, dass sie nie wirklich eine Chance hatten, zur Römisch Katholischen Elite gehören zu können. Sie konnten bildungsmässig nicht mithalten, wurden in kurzsichtiger Arroganz nicht nur sprachlich ausgeschlossen. Zudem hatte es seit den Unionsverträgen nie ein Bischof in den Senat geschafft, diese Senatssitze blieben nach wie vor den Römisch Katholischen Priestern vorbehalten. Mehr und mehr wurde deshalb die Religion zu einem Machtpotential. Russland gab vor, Schutzherr der Orthodoxen Bevölkerung zu sein, fiel immer wieder in Polen ein, eroberte – nicht zuletzt dank der Unterstützung der Orthodoxen Kirche – grosse Teile Polens. Schweden wiederum gab vor, Schutzherr der Reformierten zu sein und eroberte ebenfalls Teile von Polen. Mehr und mehr mischten sich die Nachbarn in die Geschehnisse Polens ein, das in sich geschwächt war, weil es keine Zentralverwaltung hatte. Auch hatte diese fortschrittliche Glaubenstoleranzakte von 1573 zu viele verschiedene Gläubige ins Land gebracht, welche im Gegensatz zu anderen autoritären Ländern, keine Einheit des Volkes durch den Glauben brachte.

1764 verstrickten die ausländischen Nachbarn die zerstrittenen Adelsparteien in einen Bürgerkrieg und nahmen mit der 1. Teilung (1772) Polen fast 30 % seines Gebietes und 35 % seiner Einwohner weg. Danach erhielt Polen eine moderne Zentralbehörde. Die unter russischem Einfluss 1792 gebildete Adelsopposition bot aber Russland und Preussen 1793 die Möglichkeit, Polen in der 2. Teilung zu einem Reststaat zu reduzieren. Der 1794 geführte Aufstand lieferte den drei Teilungsmächten Österreich, Preussen und Russland den Vorwand, in der 3. Polnischen Teilung die polnische Eigenständigkeit 1795 zu liquidieren. Polen verschwand von der Landkarte.

Folgender Text steht im Führer des Polnischen Museums in Rapperswil:

Doch Polen lebte weiter als Volk und als Idee. Es setzte jetzt seine Hoffnung auf Frankreich, das von sich behauptete, für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu kämpfen. Die Polen liessen sich vom trügerischen Glanz des Glücksterns Napoleons blenden. Ihr Weg zur Freiheit mündete in die Heerstrassen Napoleons ein.

„Wir kämpfen für das gemeinsame Anliegen aller Völker, die Freiheit, unter dem tapferen Bonaparte, dem Sieger über Italien“ verkündete der General Dabrowski und bot in Polen Soldaten auf. Die Polen, die seinen Legionen zuströmten, hofften, dass sie sich, wenn sie unter Napoleons Führung gegen Österreich marschierten, den Weg ins Vaterland bahnen könnten. Die Hoffnungen der Polen erfüllten sich jedoch nicht. Dem Frieden, den Bonaparte mit Österreich 1797 schloss, erwähnte Polen mit keiner Silbe.

Eine neue Hoffnung flackerte auf, als Frankreich gegen Preussen in den Krieg trat. Als sich die französische Armee nach ihrem Sieg bei Jena dem von Preussen angeeigneten polnischen Gebiete näherte, erliess General Dabrowski wieder einen Aufruf, in dem er die Polen dieses Territoriums aufforderte, sich gegen die Preussen zu erheben. Dank dem Aufstand, der fast ganz Preussisch-Polen erfasste, und dank der an Napoleons Seite errichteten polnischen Armee errangen die Franzosen rasch einen vollständigen Sieg über Preussen. Allein, als es zum Friedensschluss in Tilsit kam (1807) erlebten die Polen eine neuerliche Enttäuschung. Die erhielten nur ein Bruchstück des alten Polen unter dem künstlichen Namen „Herzogtum Warschau“.

Weil ein Angriff Österreichs auf dieses Herzogtum Warschau erfolgreich abgeschlagen wurde, konnte auch noch Westgalizien zurückerobert werden. Grosse Hoffnung gab den Polen Napoleons Russlandfeldzug. Ein polnisches Corps begleitete Napoleon nach Russland. Die polnischen Soldaten zeichneten sich auf allen Schlachtfeldern durch Tapferkeit aus, denn es war auch ihr Kampf gegen Russland. Und so wurde Napoleons Niederlage auch ihre Niederlage. Die Angelegenheit Polen kam nun vor den Wiener Kongress. Dieser bestätigte die drei Teilungen, liess indessen das Herzogtum Warschau bestehen, das, obwohl verkleinert, zum Königreich Polen avancierte, dessen König jedoch der jeweilige Zar von Russland sein sollte.

Es folgte die schmerzlichste Zeit der polnischen Geschichte. Aufstand nach Aufstand folgte und sie alle wurden blutig niedergeschlagen, fanden jedoch Widerhall in ganz Europa. Das Schweizer Volk sammelte Medikamente, sogar Waffen und die ganze Presse, an der Spitze die NZZ, stand auf Seiten der aufständischen Polen. Eine breite Flut von Polen-Emigranten ergoss sich über Europa und viele Polnische Adlige fanden eine zweite Heimat in der Schweiz. An der Universität in Zürich, wo seit ganz kurzer Zeit auch Frauen zugelassen wurden, fanden sich einige Polinnen, welche ihr Studium absolvierten und vor allem auch an der Zürcher Universität waren die Studenten empört über die Zustände in Polen. Selbst Gottfried Keller sammelte Geld für die Aufständischen in Polen.

Die Schweiz wurde für viele Polen eine zweite Heimat oder auch der Traum von Freiheit. Ein Polnischer Adeliger hatte die Idee, hier in Rapperswil ein Polnisches Nationalmuseum einzurichten und mietete das Schloss 1869 für 100 Jahre. Das Museum füllte sich bald mit wertvollen Dingen, welche in der Heimat vor der Vernichtung gerettet wurden und unendlich viele Polen pilgerten zu ihrer noch einzigen Heimat – nach Rapperswil.

Im heutigen Polen spürt man diese Dreiteilung immer noch. Der Westen kam zu Preussen. Hier wurde zwar die Bevölkerung unterdrückt, man musste nun Deutsch sprechen sowie die Preussischen Gepflogenheiten annehmen, aber Preussen hat diesen Teil Polens auch gewaltig modernisiert. Diesen Vorsprung hat die Region noch heute gegenüber dem Osten.

Die Russen haben im Osten einfach ausgebeutet, was auszubeuten war, haben ansonsten das Ganze brach liegen lassen. Davon hat sich die Gegend im Osten von Polen noch heute nicht erholt. Noch heute gilt sie als die rückständigste und ärmste Gegend von Polen.

Der Süden jedoch – Galizien – fiel den Österreichern zu.

In Lemberg zog der österreichische Verwaltungsapparat ein, der vorwiegend von Österreichern, Deutschen und Tschechen besetzt war. Die Verwaltungssprache wurde Deutsch. Maria Theresia hatte vor allem das Ziel, die traditionellen Strukturen (= Privilegien des Adels) zu beseitigen sowie Galizien zu reformieren. In Wien erhielt Galizien eine eigene Hofkanzlei. Einerseits unterstand nun Galizien dem Österreichischen Recht, andererseits war es in gewisser Weise auch autonom. Galizien bekam einen eigenen Landtag, an dem jedoch keine Gesetze verabschiedet werden konnten. In diesem Landtag gab es für die Adeligen, für die Römisch Katholischen und für die Unierten Bischöfe Sitze.

In Wien war man entsetzt, dass in Galizien der Adel wie im Mittelalter immer noch Leibeigene hatte, immer noch keine Steuern bezahlte. Zudem musste ja der österreichische Verwaltungsapparat bezahlt werden. So wurde als erstes die Steuerfreiheit des Adels aufgehoben. Zudem bekam jeder Einwohner in Galizien das gleiche Recht. Die Leibeigenschaft wurde abgeschafft. Jeder Bürger wurde steuerpflichtig, militärpflichtig, jeder Bürger sollte eigenes Land besitzen dürfen. Obwohl dies natürlich für die Bauern prinzipiell auch mehr Rechte bedeutete, gerieten viele genau dadurch in eine grosse Armut. Denn die Unfreien waren es noch nicht gewohnt, für sich selbst zu sorgen. Der Herr und Meister hatte ihnen bis jetzt jegliche Entscheidung abgenommen. Obwohl sie Leibeigene waren, unendliche Frondienste leisten mussten, auch keinerlei Rechte hatten, wurden sie doch bis anhin vom Herrn genährt. Dies fiel natürlich nun weg.

Die grösste Veränderung jedoch war, dass nun alle Einwohner Galiziens dem österreichischen Recht unterstanden. Die Zentralverwaltung Österreichs löste nun alle verschiedenen Selbstverwaltungen auf. Mit der Zeit wurde der Adel weiter geschwächt, indem er der österreichischen Verwaltung beweisen musste, dass er nach österreichischem Recht auch wirklich adelig war. Das ganze Gefüge fiel auch auseinander, weil es nun keine Beschränkung der Wirtschaftstätigkeit mehr gab, welche der Adel vorher vorgeschrieben hatte. Jeder Einwohner konnte Pächter, Händler, Bauer, Diplomat, Vermittler, Wirt, etc. sein. Das Ziel der Habsburger war, aus den Einwohnern Galiziens einheitliche und gleichartige Untertanen zu machen, welche zum Habsburgerreich passten. Das habsburgische Galizien verlor die Struktur und auch das „Wir-Gefühl“, weil jeder Bewohner gleiche Rechte hatte, weil die verschiedenen Rechtsformen innerhalb Galiziens aufgelöst wurden, jedoch die Zugehörigkeit zum Habsburgerreich kein „WirGefühl“ vermittelte.

Vor allem waren die Juden die Leidtragenden dieser Situation. Nicht nur wurden der jüdische Reichstag und die Selbstverwaltung sofort aufgehoben, sondern durch die uneingeschränkte Wirtschaftstätigkeit der Bewohner Galiziens verloren die Juden ihre frühere Vermittlerrolle zwischen Römisch Katholischen und Orthodoxen mit einem Schlag. Plötzlich waren im Galizien der Habsburger Katholiken, Orthodoxen und Juden Konkurrenten für die Posten der Pächter, der Gutsverwalter, der Leiter von Schenken. Viele, die meisten Juden verloren dadurch auf dem Land ihre Einkommensgrundlage und zogen in die Städte, welche für die unendlich vielen Armengenössige nicht vorbereitet waren. Die Juden waren nirgends mehr willkommen, die Habsburger wollten das Judentum loswerden, die Juden eindeutschen. Sie durften ihre eigenen Namen nicht mehr benutzen, man gab ihnen deutsche Familiennamen wie Apfelbaum oder Ringelblume. Natürlich mussten nun auch sie den Österreichern Steuern bezahlen und waren militärpflichtig.

Stark zurückgestuft wurde auch die Römisch Katholische Kirche, welche jeglichen politischen Einfluss verlor. Die Römisch Katholische Kirche musste sich nun dem Staat unterordnen. Genauso wie dies die Orthodoxe Kirche tat. Damit verlor die Katholische Kirche auch das Recht, privilegierte Schulen für ihre Gläubigen zu haben. Neu durften auch die Orthodoxen ihre eigenen Schulen haben. Überhaupt wurde das Bildungssystem umgekrempelt. Man schloss die Lemberger Jesuitenakademie, eröffnete die österreichische Universität in Lemberg, welche natürlich nur in Deutsch unterrichtete. Überall in Galizien gab es Schulen für die Kinder aller Glaubensrichtungen und Herkunft. Allerdings wurde auch in diesen Schulen nur deutsch unterrichtet.

Griechisch Orthodoxe Ruthenen hatten nun auch die Möglichkeit für Bildung. In Wien wurde gar ein Priesterseminar für Griechisch Orthodoxe (Unierte) eingerichtet. Diese unierten Priester hatten künftig in Galizien die genau gleichen Rechte wie die Römischen. Der Name „Unierte“ wurde nun durch „Griechisch Katholisch“ ersetzt. Griechisch Katholische sind demnach ursprünglich Orthodoxen, welche einst mit der Römisch Katholischen Kirche eine Glaubensunion eingegangen waren. Während ihnen der Unionsvertrag nicht die ersehnten Aufstiegsmöglichkeiten gebracht hatte, hatten sie als Griechisch Katholiken Zugang zur modernen Bildung. Die Griechisch Katholischen Priester wurden zum aufstrebenden Stand der Ukrainer. Sie wurden die Elite, weil sie in Wien eine westliche Bildung bekamen und weil sie wie die Katholischen Bischöfe nun auch im Landtag Einsitz nehmen konnten.

Mit den Habsburgern wurden die Adeligen, die Römisch Katholischen und vor allem die Juden geschwächt. Gestärkt wurden die vorher Unterdrückten, die Bauern – Ruthenen – Orthodoxen.

Erstmals gab es Nicht-Adelige Bildungsschichten. Die 80 % Leibeigenen hatten nun eigenes Land und (fast) die gleichen Rechte wie ihre ehemaligen Herren.

Vom Westen her sah man Galizien damals als Westasien an. So fremd erschien dieses Völkergemisch der westlichen Gesellschaft. Im 19. Jahrhundert besuchten deshalb viele Abenteurer aus dem Westen das ehemalige Fürstentum Galizien. Heute gibt es aus dieser Zeit unzählige Reiseliteratur über Galizien. Einerseits wurden die Harmonie der unberührten Natur und die ethnische Vielfältigkeit gepriesen, aber auch die Rückständigkeit, die Armut des Volkes, die Arroganz des Adels angeprangert. Galizien war im 19. Jahrhundert ein krasses Gegenstück zum Habsburgerreich und wurde ein Tummelfeld für Aufklärer und Erneuerer, welche hier eine Kolonie der Rückständigkeit ausmachten und reformieren wollten.

Allerdings galt Galizien auch als exotischer Osten. Die vielfältigen ethno-religiösen Gemeinschaften faszinierten die Schriftsteller. Man glaubte eine Urnatur gefunden zu haben. Ein Paradies, wo es möglich ist, trotz verschiedener Glaubensrichtungen gemeinsam in Frieden leben zu können. Tatsächlich war die Distanz von den Adeligen zu den Bauern immer noch recht gross. Obwohl es in Polen immer wieder Aufstände gab, die Aufständischen vor allem gegen Russland kämpften, vermochte der Adel nie, die Bauern gegen Russland zu mobilisieren. Die Bauern trauten den Adeligen nicht. Sie waren nicht integriert, obwohl sie den grössten Bevölkerungsanteil ausmachten. Dies sieht die Geschichte als ein Grund an, weshalb all die Aufstände der Polen niedergeschlagen wurden. Die Adeligen, welche Jahrhunderte lang die Bauern unterdrückten, konnten sich gar nicht vorstellen, die Bauern zu integrieren. In Galizien gab es im Jahre 1846 einen grossen Aufstand der Bauern, welche Adelige und Juden niedermetzelten. Daraufhin gab es 1848 eine neue Reform, den Bauern wurden noch grössere Rechte einberäumt. Fortan mussten sie überhaupt keine Frondienste mehr leisten. Auch durften sie im Parlament Einsitz nehmen.

Wie überall, wo sich die ständischen Strukturen auflösten, suchten die Menschen im 19. Jahrhundert auch in Galizien eine Struktur, welche ihnen ein „Wir-Gefühl“ vermitteln sollte und eine Zusammengehörigkeit versprach. Bei den Polen entstand vor allem wegen der Teilung ein starkes Nationalgefühl. Wir, die Polen, halten zusammen. Für die Polen war klar, dass Galizien zu Polen gehören sollte. Auch in Galizien fühlte sich das Katholische Volk zu Polen hingezogen, es hatte ja auch polnische Wurzeln.

Die griechisch katholischen Bauern (Ruthenen) jedoch hatten orthodoxe Wurzeln. Es waren vor allem die gebildeten griechisch katholischen Bischöfe, welche sich ihrer Wurzeln besannen. Sie brachten nun ihrerseits eine nationale Bewegung ins Rollen, wollten für ihre Nation ein eigenes Territorium und sahen dies in der Ukraine. Für sie war klar, dass Galizien zur Ukraine gehören sollte. (Noch gehörte die Gegend der heutigen Ukraine zum damaligen Russischen Reich. Erst ihre ihm März gebildete Zentralrada rief im November 1917 die Ukrainische Volksrepublik aus und vollzog im Januar 1918 die Trennung von Russland. Das Urvolk der heutigen Ukrainer waren die dort ansässigen Ruthenen, die sich seit Jahrzehnten eine Nation ohne die Polen und ohne die Juden wünschten). Die Juden wiederum hatten sich von ihrer Entmachtung erholt. Vor allem die aufstrebende bürgerliche Jüdische Schicht, welche sich zuerst eindeutschen musste, sich nun mit Polen verbinden wollte, dies aber nicht konnte, rief nun ihrerseits eine eigene nationale Bewegung ins Leben, den Zionismus. Es muss gesagt werden, dass die Konkurrenz unter den jüdischen, polnischen und ruthenischen Kaufleuten in Galizien bereits um 1890 zu massivem Antisemitismus führte. Diese Ablehnung wiederum liess die Juden an ein eigenes Territorium denken. Auch sie entwickelten nun ein Nationalbildungsprojekt.

Im Vielvölkerfürstentum Galizien entstand allmählich eine vertikale Struktur mit einem Nationaldenken, das sich mehr und mehr den anderen Völkern verschloss. Die Menschen definierten sich neu über ihre Sprache, ihre eigene Kultur, ihre eigene Geschichte und ihre Nationalität. Die Polen mit dem Römisch Katholischen Glauben beanspruchten das Territorium Galizien für sich allein. Die schon seit Urzeiten ansässigen griechisch katholischen Ruthenen beanspruchten Galizien ebenfalls für sich allein, weil sie eine eigene Nation werden wollten. Auch die Juden träumten von einer eigenen Nation auf dem Territorium von Galizien.

Die Entwicklung des Nationalen Denkens muss man sich jedoch als einen Prozess vorstellen, der mehrere Jahrzehnte angedauert hat.

Nach dem grossen Aufstand von 1863 gegen die Russen, die den östlichen Teil Polens übernommen hatten, realisierte die polnische Oberschicht allmählich, dass eine Polnische Nation nicht ohne die Bauern erkämpft werden konnte. Die Frage war: „Wie werden Griechisch Katholische Bauern aus Galizien zu Polen gemacht?“ Diese Bauern sollten nun sowohl in Polen als auch in Galizien nationalisiert werden. In jedem Dorf gab es Vereine für die Bauern, in welchen den Bauern die Vorzüge Polens erläutert wurden. Es gab Bauernzeitungen sowie Lesevereine für die Bauern, auch Bibliotheken. Man wollte die Bauern erreichen und integrieren, dazu mussten sie lesen können. Zudem organisierte man oft katholische Wallfahrten für die Bauern um ihnen auch da die Wichtigkeit der Nationalisierung mitteilen zu können. Man tat alles dafür, damit sich der Griechisch Katholische Bauer mit der Polnischen Nation identifizieren konnte.

1867 billigte Österreich Galizien mehr Autonomie zu. Auch einen Landtag mit mehr Rechten. Zudem führten nun polnische Magnaten (vermögender Adel), die sich übrigens immer gern mit den Habsburgern verbündeten, die Administration. Allerdings galten gleiche Rechte für alle, alle Einwohner hatten ein Wahlrecht. Die polnischen Galizier waren sich insofern einig, dass sie wieder ein eigenes Polnisches Reich haben wollten. Die Griechisch Römische Priesterschaft zeigte zwar eine grosse Loyalität zu den Habsburgern, brachte den Bauern jedoch trotzdem sowohl die ruthenische Geschichte als auch die alten ruthenischen Volksbräuche näher und pflegte bewusst die ruthenische Sprache. Sie waren die treibende Kraft für ein Ukrainisches Territorium, welches Galizien und Westrussland mit einschloss. Die Ukrainer ihrerseits waren sich jedoch nicht wirklich einig. So gab es einerseits die Russofanen, welche der Meinung waren, die Habsburger hätten ihnen prinzipiell geschadet und deshalb eine Nation mit den Russen wollte. Andererseits stand den Russofanen eine Volksgruppe gegenüber, die Russland als Feind ansah und ein eigenes Territorium wollte: Die heutige Ukraine.

Die Österreicher förderten in ihrer Monarchie das Nationale Denken insofern, als sie für sämtliche Kriege immer nationale Heeresgruppen hatten, die Gegenden/Dörfer auch möglichst mit gleichen Nationalitäten bewohnen liessen. Zudem gehörte das Nationale Denken zum damaligen Zeitgeist. Unmittelbar auslösendes Moment des Ersten Weltkrieges war ebenfalls beanspruchtes Territorium, welches für die südslawische Nationalbewegung auf dem Balkan benötigt wurde.

Galizien war während des Ersten Weltkrieges ein wichtiger Teil der Ostfront. Hier verschoben sich die Grenzen ständig hin und her. Jede einzelne Familie musste nun eine Nationale Stellung beziehen. Denn einerseits stellte Österreich für den Krieg keine Galizischen Heerestruppen zusammen, sondern Polnische Truppen oder Ukrainische Truppen aus Galizien. Mit dem Ersten Weltkrieg trat auch eine ökonomische Krise ein. Der tägliche Kampf um das Überleben begann auch für die Daheimgebliebenen. Vereine und Unterstützungsorganisationen wurden – um das Nationale Denken zu fördern – wiederum für jede Nation separat ins Leben gerufen. Ein Hass auf den „Anderen“ entstand. Vor allem wegen der wirtschaftlichen Konkurrenz war der „Andere“ meist ein Jude. Im Ersten Weltkrieg entflammte in Polen – Galizien wiederum ein starker Nationaler Antisemitismus. Vor allem begann in Galizien schon zur Zeit des Ersten Weltkrieges ein Bürgerkrieg, wo es um das Territorium für eine Ukrainische Volksrepublik oder eine Polnische Nation ging.

Die Russischen Besatzer gaben danach in Galizien den Ton an. Sie unterstützten die Russofanen, die sich mit Russland verbinden wollten, verboten jegliches Denken über eine Nationale Ukraine. Die ukrainische Sprache wurde verboten, die ukrainische Presse aufgehoben. Die Griechisch-Katholischen Priester und Bischöfe mussten umgehend zum Russisch-Orthodoxen Glauben konvertieren.

Die alteingesessenen Ruthenen in Galizien wollten dadurch definitiv ihre eigene Nation Ukraine. Polnische Nationalisten sagten jedoch, die Ukraine sei lediglich eine Deutsche Erfindung. Denn während des Ersten Weltkrieges unterstütze das Deutsche Reich die Separationsbemühungen der Ukrainer als Kriegsmittel zur Schwächung Russlands. Unter anderem wurden bis zu 50’000 Kriegsgefangene ukrainischer Herkunft durch Unterricht in ukrainischer Geschichte und Vermittlung sozialistischer Ideen in deutschen Kriegsgefangenenlagern ausgebildet, um mit sozialen Unruhen und Nationalismus den Kriegsgegner zu schwächen.

Galizien sowie die ganze heutige Ukraine waren während und nach dem Ersten Weltkrieg in Aufruhr. Nach der Oktoberrevolution versuchten auf der anderen Seite der Ukraine auch die Krimtataren eine eigene Republik zu gründen. 1918 und 1919 wechselte im russischen Bürgerkrieg auch die Krim die Seiten mehrere Male.

Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde bei den Versailles-Verträgen entschieden, dass es gut ist, vor Russland eine Pufferzone zu haben. Deshalb sollte es dort sowohl Polen als auch die Ukraine geben. So konnte Polen 1918 auferstehen. Auch wurde die im November 1917 ausgerufene Ukrainische Volksrepublik bestätigt. Es entstand sogar ein West Ukrainischer Staat = Ostgalizien, das sich selbständig machte.

Westgalizien gehörte nach 1918 zu Polen, Ostgalizien wurde zur Westukraine, die nun an die neu entstandene Ukrainische Volksrepublik angrenzte. Die Krim gehörte noch nicht zur Ukraine, sondern war ab 1921 eine Autonome Sozialistische Sowjetrepublik.

Das Konfliktpotential im ehemaligen Fürstentum Galizien war nun riesig. Einerseits beanspruchte Polen ganz Galizien für ihren Staat. Andererseits beanspruchte die Volksrepublik Westukraine das ganze Territorium für ihren Staat. Russland wiederum wollte das Gebiet der Ukrainischen Volksrepublik zurückgewinnen. Obwohl die Grenzen bei den Versailles-Verträgen entschieden wurden, ging der Kampf um die Grenzerweiterung erst richtig los.

Das Ziel Polens war es, die in der Teilung von 1795 verloren gegangenen Gebiete zurück zu bekommen oder zurück zu erobern. Dies gelang nicht wirklich, doch konnte sich Polen im Osten wieder mehr ausdehnen. Sogar Wolhynien gehörte für 18 Jahre zu Polen.

1921 musste die Westukrainische Volksrepublik nach dem Polnisch-Ukrainischen Krieg kapitulieren. Nach dem Krieg zwischen Polen und Sowjetrussland wurde Ost-Galizien polnisch. Der blau eingezeichnete Teil mit Lwòw (= ehemals Lemberg) ist das Ukrainische Ostgalizien, welches ab 1921 wieder Polen gehörte. Man kann hier die Ausdehnung im Osten nach dem Ersten Weltkrieg gut erkennen.

Ab 1921 hatte Polen eine gewaltige Aufgabe vor sich. Denn in den Teilungsgebieten von 1795, die jetzt wieder zu Polen gehörten, hatten sich inzwischen ganz verschiedene Menschen angesammelt und die Teilungsgebiete hatten sich auch ganz unterschiedlich entwickelt. Ab 1921 musste Polen einerseits den Ukrainern in Galizien ihre Autonomie geben, wie das am Versailles Vertrag ausgehandelt wurde, sowie die Völker in den Litauischen, Russischen, Preussischen und Habsburgischen Teilungsgebieten wieder vereinen. Zudem waren die enormen Minderheiten in Polen ein Problem. 2/3 der Bevölkerung waren Polen, der Rest Ukrainer, Juden, Weissrussen und Deutsche. Im Osten wiederum waren die Polen eine Minderheit. Polen hatte jedoch vor allem den Wunsch, eine Polnische Nation zu werden, verpasste es, sich der vielen Minderheiten anzunehmen. Polen konnte diesen Minderheiten nie eine Identifikation zu Polen vermitteln, hat im Gegenteil versucht, die Minderheiten zu polisieren.

So bestand das Autonomieversprechen für Galizien nur auf dem Papier, das liberale Bildungssystem der Österreicher wurde aufgehoben, die Sprache an der Schule wurde wieder polnisch oder höchstens gemischt. Die ukrainischen Vereine und Organisationen wurden aufgelöst oder verhindert. Polen besann sich darauf, dass früher schon Adelige nach Galizien geschickt wurden um Galizien zu kolonisieren. Deshalb wurde nun polnisches Militärpersonal nach Galizien geschickt. Dort bekamen diese viele Rechte sowie viel Land, welches natürlich wiederum Jemandem weggenommen werden musste.

Das bevorzugte Militärpersonal half, die aufständischen Ukrainer zu kontrollieren. Je mehr Repressalien die Ukrainer jedoch erfahren mussten, desto grösser wurde der Aufstand. Je grösser der Aufstand, desto aggressiver wurden die Polen. Eine Anschuldigung wegen Verdacht auf Nationale Ukrainische Gedanken reichte schlussendlich für ein brutales Vorgehen. In Russland war die Entwicklung zu dieser Zeit politisch geschickter. Ab 1920 förderte Russland die Sprache, die Kultur, die Bildung der einzelnen Völker im vereinigten Land. So waren eine ukrainische Schule, ukrainische Vereine und ukrainische Organisationen erlaubt. Mehr und mehr fühlten sich deshalb die Ostgalizier zu Russland hingezogen.

Die Entwicklung in Galizien bekam nun ähnliche Züge wie in Deutschland zur gleichen Zeit. Es gab eine Radikale Nationalistenbewegung, welche ihre Ziele vornehmlich in den Kinder- und Jugendgruppen platzierte. Terror und Morde brutalster Art folgten. Dies löste wiederum polnische Repressalien aus. Die radikalen Nationalisten von Ostgalizien nannten sich Nationalsozialisten und wollten einen gewaltsamen Weg der Loslösung von Polen. Sie wollten eine Revision der Grenzen der Versailles Verträge sowie ein Territorium für sich allein. Juden hatten keinen Platz in diesem Territorium. Man darf nicht vergessen, dass in diesen Gebieten nun 25- 45 % Juden waren (viele Juden waren bereits aus dem Westen geflüchtet). Sie gehörten wieder der Oberschicht an. Sie waren Kaufleute, Ärzte, Advokaten und galten als Kriegsgewinner. Man erinnerte sich, dass einige Juden während des Krieges mit den Russen kollaboriert hatten und machte die Juden bei der Bevölkerung bewusst zu Feinden. Die Juden erfuhren nun nirgends auf der Welt einen so starken Antisemitismus wie in Galizien. Es ging einmal mehr um die Finanzen. Die Juden aus der Oberschicht waren die Händler, welche den ukrainischen Bauern die Agrarprodukte abkauften. Es entstand eine starke wirtschaftliche Konkurrenz mit den ukrainischen Agrarvereinigungen. Bereits ab 1930 hatten die Juden keinen Zugang mehr zu den Hochschulen. Grundsätzlich entfernten sich die Menschen in Galizien radikal voneinander.

Die allerschlimmste Zeit war jedoch für die Einwohner von Galizien und Polen die Zeit des Zweiten Weltkrieges, welche in drei Zeiten aufgeteilt wird.

1939 – 1941

Als die Russen im Osten Polens einfielen und vorgaben die Ukrainer zu befreien, waren in Galizien einige Juden die Verbündeten der Russen. Einerseits, weil es auch im Russischen Heer jüdische Offiziere hatte. Andererseits, weil sich die Juden von den Russen Schutz vor den Deutschen, welche am 1. September im Westen Polens einmarschierten, erhofften. Nach der Niederlage der polnischen Armee arbeiteten die Russischen Besatzer mit Juden zusammen um eine russische Regierung in Polen aufzubauen.

Wir können uns wohl kaum vorstellen, mit welch bestialischer Brutalität die Russen damals in Polen vorgingen. Die Polnische und auch die Ukrainische Elite wurden förmlich ausgemerzt durch den russischen Geheimdienst. Alle, die irgendwie Halt geben konnten, wurden erschossen oder deportiert. Die Landwirtschaft wurde kollektiviert, deshalb wurden die Landbesitzer entweder erschossen, aufgeschlitzt oder mit 100’000 anderen nach Sibirien deportiert. Es wurde geplündert, gefoltert, vergewaltigt, gemordet, gequält. Der Bevölkerung im Osten Polens und in Galizien blieb nichts anderes als nach Westen zu flüchten.

Ein geschundenes Volk wird sich immer an seine Peiniger erinnern. Dies waren die Russen, mit ihnen jedoch auch einige Juden. Es gibt einen Film aus Polen, wo sich zwei Frauen auf einer Brücke treffen. Beide sind mit ihren Habseligkeiten auf der Flucht. Eine flieht aus dem Osten und die andere flieht aus dem Westen. Sie treffen sich auf dieser Brücke, schauen sich an und erfassen ihre Aussichtslosigkeit. Das war die Zeit um 1941. Da drehte die Front. Die russischen Truppen hatten Galizien sowie den Osten Polens nicht mehr unter Kontrolle, die Deutschen Besatzer rückten näher.

Die Deutschen haben in Galizien vor allem ein Land gesehen, welches sich als neues Ansiedlungsgebiet für reinrassige Deutsche eignen würde. Die Deutschen haben alle Bewohner Galiziens und Polens entrechtet, wirtschaftlich ausgebeutet, enteignet und nach Bedarf deportiert. Trotzdem, in Galizien ging es der Bevölkerung unter den deutschen Besatzern besser als unter der Russischen. Trotz allem Elend gab es durch die Deutschen eine gewisse Erleichterung, weil das Volk durch die Russen noch Brutaleres erleben musste.

Man hatte die Tortur der Russen noch im Nacken, vor allem die Ukrainer hatten gerade durch die Deutschen erneute Hoffnung auf einen eigenen Staat. Deshalb kollaborierten sie mit den Deutschen. Einige randständige Polen kollaborierten ebenfalls mit den Deutschen. Es ging um die Kontrolle der Bevölkerung und um die ethnische Säuberung des Gebietes. Auch um die Vertreibung der Russen. Stärker noch als in Frankreich war die polnische Widerstandsbewegung gegen die Deutschen. Sie war gut organisiert. Interessanterweise hatte jedoch der Kampf gegen die Deutschen besonders in Galizien nicht die höchste Priorität, sondern der Schutz der Bevölkerung vor den Ukrainern, welche nun mit Rückhalt der Deutschen unbedingt die Abtrennung Ostgaliziens wollten.

1939 war die jüdische Einwohnerzahl Polens mit ca. 3,3 Mio trotz der Auswanderung in die USA und nach Palästina grösser als 1918. Ungefähr 740’000 Juden betrachteten sich als Polen mosaischen Glaubens, der grosse Rest als Juden auch im Sinne der Nationalität. Zumal sie Jiddisch sprachen, oft des Polnischen kaum mächtig waren.

Ab 1941

Die Polen hatten mehrere Feinde im Land. Einerseits die Deutschen Besatzer, andererseits die Russen, welche zurückgedrängt werden mussten, vor allem aber die Ukrainer, welche auch im Untergrund in blutigster Weise für einen eigenen Staat kämpften. Der Deutsche Nationalsozialismus sowie der Ukrainische Nationalsozialismus verbanden sich miteinander. Die Deutschen nahmen nun Ukrainer als Hilfstruppen um einerseits die Russen aus dem Land zu treiben, anderseits um die Polnische Bevölkerung zu verwalten.

So gab es eine eigene SS-Division in Galizien mit ukrainischen Soldaten. Diese wiederum hatte vor allem die Aufgabe der Judenvernichtung. Man hat heute keine Erklärung für das, was anschliessend geschehen ist. Weist lediglich darauf hin, dass der Judenhass in Polen und besonders in Galizien schon seit längerer Zeit brodelte. Man betont auch, dass eben die Juden als die Kollaborateure der Russen für all das Leid, das der Bevölkerung durch die Russen angetan wurde, verantwortlich gemacht wurden. Man erinnert an die Kosakenaufstände, die ähnlich brutal waren und an das Vorgehen der damaligen ukrainischen Bauern. Es ist auch die Rede davon, dass natürlich die Deutschen den Judenhass in Polen und besonders in Galizien weiter angestachelt haben. Nicht ohne Grund war in Galizien das grösste Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. In Galizien halfen die ukrainischen Soldaten beim Abschlachten der Juden. Sie waren auch Wärter in den Konzentrations-lagern. Schlimmer noch war jedoch das, was sich in den Dörfern abspielte, wo sich ehemalige Nachbarn auf brutalste Weise wie die Wölfe zerfleischten.

Die Ukrainer selbst wiederum erlebten von den Deutschen eine grosse Enttäuschung. Nachdem die Russen definitiv aus Polen vertrieben waren, die grosse Drecksarbeit getan war, wurden sie verhaftet, deportiert. Gemäss dem Deutschen Nationalsozialismus waren die Ukrainer und Slawen Untermenschen.

Die Niederlage der Deutschen im Osten zeichnete sich bereits 1943 ab .Obwohl die Deutschen noch als Besatzer in Polen und Galizien waren, ging nun im Untergrund ein Bürgerkrieg zwischen Polen und der Ukraine los. Mit Untergrundarmeen wurde einmal mehr um die polnischen Ost-Grenzen gekämpft, um das Territorium, welches als Nationales Ukrainisches Territorium dienen sollte. Vor allem wollten die Ukrainer Galizien haben.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Galizien

Unterstützung für die Ukrainer gab es damals wieder durch die Russen, welche erneut in Polen – Galizien einmarschierten und das Land „befreiten“. Obwohl bis jetzt schon alles sehr schlimm und unmenschlich war, bezeichnen Polen den zweiten Einmarsch der Russen als das Schlimmste, was Polen je erlebt hat. Allein in Ostgalizien wurden über 100’000 Polen innert kurzer Zeit getötet, was auf der Bürgerkriegsseite mit Vergeltungsanschlägen beantwortet wurde. So gab es in Galizien auch über 20’000 Ukrainische Tote.

In Wolhynien und Galizien wurden ganze polnische Dörfer ausgelöscht, es entstand Panik mit einer Fluchtbewegung wiederum nach Westen. Die Westerweiterung der Ukraine trieb damals Chruschtschow voran, weil er zeigen wollte, dass die Bolschewiki die Interessen der Ukraine besser wahren können, als die ukrainischen Nationalisten. Ursprünglich wollte Chruschtschow auch noch die Region Chelm in die Ukraine integrieren.

Nach Kriegsende

Auch als der Zweite Weltkrieg beendet war, dauerte der Bürgerkrieg in Galizien an. Die Sieger des Krieges wollten in Galizien eine ethnisch saubere Grenze machen. So wurde entschieden, die Ukrainischen Galizier in die Ukraine zu verschieben, die Polnischen Galizier nach Westen, dort wo die Deutschen nun innert weniger Tage ausziehen mussten, weil die Polnischen Grenzen nach dem Wunsch Stalins von Ost nach West verschoben wurden.

Anfangs wollte man die gewaltigen Verschiebungen in Polen korrekt vornehmen, den Menschen im neuen Land Gleichwertiges anbieten. Das Ganze erhielt jedoch eine Eigendynamik. Inzwischen wurde von Russland aus so oder so alles kollektiviert und beschlagnahmt. Zudem war es zeitlich und organisatorisch nicht so einfach, wie auf dem Papier vorgestellt. In der Praxis sah es so aus, dass die Umsiedlung im Jahre 1947 plötzlich eiligst vollzogen sein musste. Es gibt Papiere, worin die Militärs angewiesen wurden, die Menschen nicht sofort zu erschiessen, wenn sie nicht ausziehen wollen, sondern ihnen zu sagen, dass sie – falls sie nicht binnen eines Tages ausgezogen sind – entweder in ein Konzentrationslager kommen oder erschossen werden. So zogen (rein in Galizien) 1,5 Mio Polen um, über 800’000 Ukrainer wurden in die Sowjetunion zwangsdeportiert. Sie haben Haus und Hof, Hab und Gut, hinter sich gelassen, haben in Galizien Platz gemacht für neue Menschen einer einzigen Nationalität. In West-Galizien zogen anderweitig vertriebene Polen ein, in Ostgalizien zogen Ukrainer ein.

Nach Stalins Tod im Frühling 1953 wollte sein vorgesehener Nachfolger Beria der neu eroberten Westukraine wieder mehr Autonomie verschaffen. Dies verhinderte der überzeugte Kommunist Chruschtschow, der nur ein Jahr später auch die Krim der Ukraine übergab um sich die Loyalität der Ukrainer zu sichern.

Seit 1947 gibt es Galizien nicht mehr. Nur noch in der Literatur entstand ein Galizien als Mythos, als ein Land, wo verschiedene Kulturen mit verschiedenem Glauben in Frieden zusammen leben.

Blandine, im Winter 2010

Quellen:
Kurs über das Fürstentum Galizien an der Volkshochschule Zürich
Eigene Beobachtungen auf der Reise durch Westgalizien
Unterlagen der besuchten Städte in Westgalizien

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